Politik
Einsparungen im
Arzneimittelbereich von mehr als 3,5 Milliarden DM
jährlich hält der Vorstandsvorsitzende der Barmer
Ersatzkasse (BEK), Eckart Fiedler, für möglich, ohne
daß die Qualität der medizinischen Versorgung darunter
leiden werde. So verhindere allein der Verzicht auf eine
gesetzliche Arzneimittel-Positivliste Minderausgaben von
etwa zwei Milliarden DM per anno für die Krankenkassen.
Die von Union und FDP bereits Ende vergangenen
Jahres beschlossene Festbetragsfreiheit für neue
patentgeschützte Präparate schlage mit einer weiteren
Milliarde DM negativ zu Buche. Zusätzlich belaste die
gesetzliche Krankenversicherung die Streichung der
Förderklausel für re- und parallelimportierte Arzneien
mit 560 Millionen DM jährlich.
Doch damit nicht genug: Der selbstbewußte BEK-Chef wirft
der Politik vor, die gesetzliche Krankenversicherung mit
immer neuen finanziellen Verschiebebahnhöfen regelrecht
zu berauben. Fiedler: "Keine Bank kann Gewinne
machen, wenn sie ständig überfallen wird."
"Beutezüge der Politik"
Nach Berechnungen des Chefs der größten gesetzlichen
Krankenkasse in der Bundesrepublik mit über 6,8
Millionen Mitgliedern kosten die "Beutezüge der
Politik" - gemeinhin Verschiebebahnhöfe genannt -
die Krankenkassen jährlich zwischen 16,9 und 17,9
Milliarden DM. Diese Summe entspreche einem
Beitragssatzprozentpunkt weniger Einnahmen für die GKV.
Neben den nicht realisierten Einsparungen im
Arzneimittelbereich nennt Fiedler im einzelnen folgende,
durch den Gesetzgeber verursachte Belastungen für die
Krankenkassen:
- Kürzung der Lohnfortzahlung im Krankheitsfall:
Beitragsausfälle in Höhe von 1 bis 2 Milliarden
DM.
- Die Zwangssenkung der Beitragsätze um 0,4
Prozentpunkte reduziert auch die Beiträge zur
Krankenversicherung der Rentner, die auf der
Basis der Beitragssätze vom 1. Januar 1997
berechnet werden. Gewinner ist die staatlich zu
subventionierende Rentenversicherung.
Einnahmeverlust für die GKV: 1,4 Milliarden DM.
- Das Einsparvolumen des
Beitragsentlastungsgesetzes liegt nur bei maximal
4,5 Milliarden DM und nicht bei 7,5 Milliarden
DM, wie die Bonner Koalition glauben machen will.
Belastung für die GKV: 3 Milliarden DM.
- Die Absenkung der Beitragsbemessungsgrundlage
für Arbeitslose auf 80 Prozent führt seit 1995
pro Jahr zu Mindereinnahmen der GKV in Höhe von
5 Milliarden DM zugunsten der
Arbeitslosenversicherung.
- Die auf das Krankengeld zu zahlenden Beiträge
für die Renten- und Arbeitslosenversicherung
wurden erhöht. Jährliche Mehrausgaben für die
GKV: 800 Millionen DM.
- Der aufgelaufene Investitionsstau in den
Krankenhäusern beträgt bis zu 10 Milliarden DM;
die aktuellen Instandhaltungskosten der Kliniken,
so Fiedler, gehen von den Bundesländern auf die
Krankenkassen über und belasten die GKV mit
einer Milliarde DM.
- Die neugeschaffene Altersteilzeit in der
Rentenversicherung führt ab 1997 durch die
sinkende Beitragsbemessungsgrundlage zu
jährlichen Einnnahmeverlusten für die GKV in
Höhe von 230 Millionen DM.
- Bei der Berechnung der Arbeitslosenhilfe werden
ab 1997 auch "sonstige Einkünfte"
berücksichtigt. Dies zieht eine Absenkung der
Arbeitslosenhilfe und damit der Beiträge zur
Krankenversicherung nach sich. Mindereinnahmen
für die GKV per anno: 250 Millionen DM.
- Die Beitragseinnahmen der Krankenkassen für die
bei ihnen versicherten Sozialhilfeempfänger sind
nicht kostendeckend. Belastung für die GKV: 700
Millionen DM.
Fazit von Eckart Fiedler: "Die Politik ist der
eigentliche Verursacher der Kalamitäten der GKV."
Sie müsse deshalb auch den Schlüssel zur Lösung der
aktuellen Probleme liefern. In jedem Fall seien ein
globales Ausgabenbudget und eine Entlastung der GKV von
versicherungsfremden Leistungen notwendig. Zugleich habe
die Politik die Verschiebebahnhöfe rückgängig zu
machen und jeder Krankenkasse eigenständige
Vereinbarungen mit Leistungserbringern zu ermöglichen
Fiedler: "Schließlich zwingt auch niemand alle
Autohersteller, einheitlich und gemeinsam mit nur einem
Reifenhersteller zu verhandeln."
PZ-Artikel von Hans-Bernhard Henkel, Bonn
© 1996 GOVI-Verlag
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